Karl Veitschegger (Karwoche 2025)

 

Stand Maria unterm Kreuz?


Maria unter dem Kreuz ihres Sohnes. Unzählige Bilder, Statuen, Lieder, religiöse Texte haben diese Szene zum Inhalt. Für viele gehört sie (wie die Pieta) zum Herzstück katholischer Spiritualität. Aber hat sie so stattgefunden?

 

Historisch gesehen

Als Historiker wird man skeptisch sein. Denn das älteste Evangelium (70 n. Chr.), weiß davon noch nichts. Markus schreibt über die Kreuzigung Jesu: „Einige Frauen sahen von Weitem [!] zu, darunter Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome; sie waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient. Noch viele andere Frauen waren dabei, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren.“ (Mk 15,40f) Aber von der Mutter Jesu ist da nicht die Rede. Erst das viel später verfasste Johannesevangelium (100 n. Chr.) erzählt: „Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“ (Joh 19,25-27). Ohne Zweifel eine menschlich bewegende und theologisch interessante Erzählung. Aber hat sie auch eine historische Basis?

 

Pessach in Jerusalem

War die Mutter Jesu zu dieser Zeit überhaupt in Jerusalem? Ganz unmöglich ist das nicht. Vielleicht ist sie von Galiläa nach Jerusalem gekommen, um dort mit ihrer Schwester und anderen Verwandten wie viele andere Juden und Jüdinnen Pessach zu feiern. Vielleicht hoffte sie insgeheim, ihren Sohn zu treffen. Der hatte sich freilich längst von der Herkunftsfamilie, die seine Berufung und Sendung nicht verstehen konnte, losgesagt (vgl. Mk 3,21 u. 31-35). Nicht die leibliche Verwandtschaft, sondern die Jünger und Jüngerinnen waren jetzt seine „Familie“: „Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“ Wenn er Pessach feierte, dann mit dieser neuen „Familie“. Vielleicht hielt er, bevor er verhaftet wurde, auch nur ein pessach-ähnliches Mahl im engen Zwölferkreis. Historisch Sicheres lässt sich dazu nicht sagen.

 

Mutter und Sohn

Ob Maria Jesus in Jerusalem sah? Wann sie von seiner Verurteilung erfuhr? Ob sie es schaffte, physisch unter dem Kreuz zu stehen? Wir wissen es nicht. Aber, was auch immer historisch genau geschehen sein mag, ich behaupte: Existenziell (!) stand die Mutter Jesu spätestens dann unter dem Kreuz“, als sie erfuhr, was man Jesus angetan hatte. Der Tod eines Kindes trifft das Herz einer Mutter. Sobald eine Mutter erfährt, dass ihr Kind tot ist, ist sie bei ihrem Kind, auch wenn sie physisch nicht beim Sterben dabei gewesen sein sollte. Die Liebe kennt keine zeitlichen und räumlichen Grenzen.

Und Jesus? Sollte er, als er am Kreuz verblutete und sein Leben noch einmal vor seinem inneren Auge ablief, nicht auch an Nazaret und seine Mutter gedacht haben? Wir wissen es nicht. Aber ich meine, es spricht vieles dafür. Und er, dessen zentrale Botschaft das Gebot der Liebe war, wird es in reifer Liebe getan haben …

 

Maria und die junge Gemeinde

Nach dem Ostergeschehen hat sich Maria offensichtlich der jungen Jesusbewegung in Jerusalem angeschlossen. Von dieser Gemeinschaft heißt es: „Sie alle verharrten […] einmütig im Gebet, zusammen mit den Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.“ (Apg 1,14). Wenn das so war, dann meint das Johannesevangelium mit dem namenlosen „Jünger, den Jesus liebte“ und der mit Maria unter dem Kreuz gestanden haben soll, vielleicht nicht bloß eine historische Einzelperson (z.B. den Apostel Johannes), sondern die junge Jesusgemeinde als ganze. Leibliche Mutter und neue Jüngerfamilie Jesu hätten sich dann gefunden. Maria gehört jetzt zur Gemeinschft der Kirche: „Frau, siehe, deine Kinder.“ Und: „Geliebter Jünger, geliebte Jüngerin, sieh deine Mutter“!

 

Mütterlichkeit

Mehr Mütterlichkeit in Jesu Gemeinde? Manche werden das sentimental finden. Ein Martin Luther konnte dem etwas abgewinnen. Wenn du an Christus glaubst, predigte er einmal zu Weihnachten dann sitzest du gewisslich der Jungfrau Maria im Schoß und bist ihr liebes Kind“.1 Nicht jede und jeder wird das nachvollziehen können. Aber dass unzählige Menschen im Lauf der Christentums-Geschichte in Maria eine wichtige mütterliche Vertrauensperson gefunden haben, ist unbestreitbar wahr.

 

Karl Veitschegger

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1Erwin Friedrich Mülhaupt, D. Martin Luthers Evangelien-Auslegung I, 31955, 195

 

Maria in der Lehre der katholischen Kirche

Katholische Mariendogmen

 

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